Interessante Fragestellung! High-Key und Überbelichtung sowie Low-Key und Unterbelichtung sind jeweils
nicht identisch. Aber ich fürchte, ich muss ein wenig ausholen ...
Über/Unterbelichtung bedeutet, dass es Elemente im Bild gibt, die entweder so dunkel oder so hell sind, dass sie keine "Zeichnung" mehr haben. "Zeichnung" bedeutet, dass diese Bildelemente in wenigstens einem ihrer drei Farbkanäle einen Tonwert von 0 (Unter-) bzw. 255 (Überbelichtung) haben. Bei diesen Bildelementen kann man also nur vermindert oder überhapt keine Details mehr erkennen.
High- bzw. Low-Key Bilder besitzen eine ungewöhnliche Tonwertverteilung. Diese Bilder sind nicht naturgemäß über- oder unterbelichtet, sondern bei ihnen gibt es eine besonders starke Häufung der Tonwerte entweder im hellen oder im dunklen Bereich. Das nur vorab - jetzt aber wird's etwas komplizierter:
Unser Sehsystem aus Auge und Gehirn ist darauf trainiert, selbst unter ungünstigsten Bedingungen noch etwas wahrnehmen zu können. Dementsprechend läuft in unserem Kopf ständig eine "Bildverarbeitung" mit, die das Gesehene möglichst kontrastreich bei gleichzeitig größtmöglichem Tonwertbereich aufbereitet, damit wir auch noch möglichst viele Details selbst in dunklen bzw. hellen Bildregionen sehen können. Dabei regelt das Gehirn ohne unser Zutun laufend die "Gradation" und den mittleren Helligkeitswert der von uns gesehenen Bilder nach. Das funktioniert, weil unser Gehirn dabei ähnlich wie eine moderne Kamera (aber viel intelligenter) von einer bestimmten Tonwertverteilung ausgeht.
Treten wir vom Dunklen ins Helle, oder vom Hellen ins Dunkle, dann regeln Auge und Gehirn unsere Seheindrücke blitzschnell so nach, dass wir auch unter diesen neuen Lichtbedingungen wieder möglichst optimal sehen können.
Damit das von uns Gesehene unter diesen Umständen nicht immer wieder total anders aussieht, und dadurch von unserem Gehirn nicht mehr erkannt würde, berichtigt es das Gesehene nach dem Prinzip der Konstanz: Ein Blatt Papier gilt immer als weiss, egal ob wir es im rötlichen, weichen Licht bei Sonnenaufgang oder im harten, bläulichen Licht mittags sehen.
Die Sache mit der Farbe kennt jeder Digitalfotograf, weil er mit den Weissabgleichsproblemen vertraut ist. Da ist aber auch noch die Sache mit der Helligkeit und den Kontrasten - die kann nunser Hirn nämlich auch nachregeln. Meist merken wir davon garnichts.
Angenommen wir treten aus einem dunklen Haus ins Freie, dann blendet uns die Sonne in den ersten Sekunden. In genau diesen Sekunden sehen wir so etwas wie High-Key Bilder (die zusätzlich auch noch überbelichtet sind). Wenn wir etwas überbelichtet sehen, dann geht es uns genau so wie einer technischen Kamera: Man kann feststellen, dass es zu hell ist, nicht aber, um wie viel es zu hell ist. Denn zu hell bedeutet (technisch gesprochen) Übersteuerung, also subjektive Helligkeit gleich Null oder Volle Pulle bis zum Anschlag.
Es wäre aber recht nützlich zu wissen, um wie viel es zu hell ist, damit unser Auge/Hirn nachregeln kann. Folglich nutzt unser Hirn wieder ein Prinzip der Konstanz: die Erwartung einer mittleren Helligkeitsverteilung. Die stellt sich nämlich dann ein, wenn unser Auge seine Empfindlichkeit und seine Gradation so nachjustiert hat, dass wir die wichtigen Dinge in unserer Umgebung wieder gut sehen können.
High-Key- und Low-Key Bilder irritieren unser Hirm beim Betrachten: Sie besitzen nicht die ausgewogene Helligkeitsverteilung, die wir erwarten. Zugleich aber sagt unser Hirn z.B. beimAnsehen eines Fotos auf Papier - das ist Papier, muss also prinzipiell weiss sein und eine bestimmte Helligkeit haben. Das aber steht im Widerspruch zu dem darauf gedruckten High- oder Low-Key Bild, bei dem das Gehirn eigentlich "nachregeln" möchte. Genau das macht das Irritierende an solchen Bildern aus.
Fazit: Bei High- oder Low-Key geht es nur um die Tonwertverteilung. Gut gemachte Bilder dieser Art können vollkommen ohne Über- bzw. Unterbelichtung auskommen (obwohl es sowas in vielen dieser Bilder stellenweise durchaus gibt und dort auch nicht stört, so lange die wichtigen Teile des Bildes Zeichnung haben).
Im Gegensatz dazu können aber ganz trivial über- oder unterbelichtete Bilder durchaus eine normale Tonwertverteilung haben ....
